HÜBNER arbeitet an der Straßenbahn auf Rädern

Kassel. In Zeiten wachsender Städte und einer zunehmenden Urbanisierung steigen auch die Ansprüche an den öffentlichen Personenverkehr. In Megastädten und deren Agglomerationen müssen immer mehr Menschen transportiert werden, und das effizient und zu bezahlbaren Kosten. „Wir können gegen überfüllte Straßen und die entsprechende Umweltbelastung nur mit einer Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und mit innovativen Ansätzen im Transportwesen vorgehen“, erklärt Helge Förster, HÜBNER-Geschäftsführer und verantwortlich für den Bereich Mobility.

Die Kasseler HÜBNER-Gruppe, Weltmarktführer für Übergangssysteme für Busse und Bahnen, arbeitet derzeit daher an technischen Lösungen für ein High-Capacity-Fahrzeug: einen extra langen mehrgliedrigen Bus, der bis zu 300 Fahrgäste befördern kann – besser vorstellbar als Straßenbahn auf Rädern. Die Vorteile dabei: geringere Kosten und kürzere Umsetzungsdauer. Förster: „In Städten, in denen die nötige Infrastruktur fehlt, kann es durchaus zehn bis 15 Jahre dauern, um ein neues Straßen- oder Stadtbahnsystem einzusetzen. Viel Zeit, die Städte bei einem drohenden Verkehrsinfarkt nicht haben. Neue Bussysteme hingegen können oftmals schon innerhalb von drei bis fünf Jahren realisiert werden.“ Damit seien sie für Kommunen und Verkehrsunternehmen besonders attraktiv.

Obwohl der Trend also ganz klar zu immer längeren Bussen geht, sind allerdings bisher maximal Doppelgelenkbusse verfügbar. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren verstärkt damit beschäftigt, wie längere, mehrgliedrige Bussysteme aussehen können, vor allem in Bezug auf Fahrzeuggeometrie und -dynamik“, erklärt Förster. Denn ein Bus, der wie geplant über 30 Meter lang sein soll, benötigt spezielle elektronische Lenksysteme.

„Wir wollen im kommenden Jahr starten, mit einem Hersteller den ersten Prototypen auf die Räder zu stellen“, gibt Uwe Bittroff, Leiter der Sparte Übergangssysteme für Straßenfahrzeuge bei HÜBNER, den Planungshorizont des Unternehmens vor. Im nächsten Jahr will das Unternehmen damit beginnen, in Kooperation mit einem Hersteller den Prototypen eines sicheren High-Capacity-Fahrzeugs zu entwickeln. Auf den Markt gebracht werde das neue Lenksystem aber erst nach Abschluss umfangreicher Tests, wenn ein ausreichender Sicherheitslevel vorhanden sei. Hiermit ist laut HÜBNER in etwa drei Jahren zu rechnen.

Die Herausforderung: Um die Sicherheit der Fahrgäste und anderer Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, muss das Lenksystem auch dann noch beherrschbar bleiben, wenn es eine Störung hat. „Wenn bei sechs gelenkten Achsen nur eine nicht in die richtige Richtung will, kann das sehr schnell zu einer Gefährdungssituation führen“, betont der HÜBNER-Spartenleiter. Bei der Entwicklung der neuartigen Lenkung arbeitet HÜBNER mit dem Fraunhofer-Institut IVI in Dresden zusammen. „Aktuell haben wir dort einen Teststand aufgebaut, mit dem wir nicht nur Fahrten simulieren, sondern aktiv Lenkungen und Achsen auf die Funktionsweise überprüfen“, so Bittroff.

Ziel des Unternehmens ist eine möglichst standardisierte elektronische Lenkung. Dadurch sollen sich auch kleinere Fahrzeughersteller den Bau eines mehrgliedrigen Gelenkbusses leisten können – ohne hohe Entwicklungskosten und mit überschaubarem Adaptionsaufwand. HÜBNER will den Kunden dabei auch beratend zur Seite stehen und sie beispielsweise über benötigte Steuergeräte und Sensorik informieren. „Wir haben eine Art Baukasten geeigneter Bauteile zusammengestellt, aus dem der Kunde wählen kann“, erläutert Bittroff. HÜBNER selbst biete nur die eigentliche Lenkungskomponente an und passe sie an die jeweiligen Anforderungen an.

Große Märkte für High-Capacity-Fahrzeuge sieht das Unternehmen zum Beispiel in Südamerika, wo Bus-Rapid-Transit-Systeme (BRT) eine lange Tradition haben. Aber auch andere Regionen mit wachsenden Metropolen könnten mithilfe von Superbussen ihre Transportsysteme verbessern. Eine wichtige Rolle spielt zudem China mit seinen am Reißbrett geplanten Megacities. „Hier wird die nötige Infrastruktur für Großraumfahrzeuge gleich mitgedacht“, führt Uwe Bittroff aus. An sämtlichen Projekten, die dort aktuell realisiert würden, sei HÜBNER beteiligt.

In China zeigt sich laut Bittroff auch ein anderer Trend: Noch stärker als die Busbranche hat bisher die Straßenbahnbranche das Potenzial von High-Capacity-Fahrzeugen erkannt. So stellt beispielsweise die China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) als weltgrößter Schienenfahrzeugproduzent inzwischen mehrgliedrige Zwitterfahrzeuge her: Sie erinnern optisch an eine Straßenbahn, fahren aber wie ein Bus auf der Straße. Statt Schiene und Oberleitung sorgen optische Sensoren für eine sichere Spurführung des Fahrzeugs.

 

HÜBNER-Gruppe

Mobility. Materials. Photonics.  | united by passion.

Als globaler Systemanbieter für die Mobilitätsbranche, für Industrie, Life Sciences und Wissenschaft ist die HÜBNER-Gruppe weltweit führend im Bereich Übergangssysteme für Busse und Schienenfahrzeuge (Mobility), anerkannter Lösungs­anbieter für Gummi­-Produkte, Kunststoff­-Technologien und elastomer-beschichtete Industrietextilien (Material Solutions) sowie Lieferant für Anwendungen in der Laser-, Terahertz­- und Hochfrequenztechnologie (Photonics). Insgesamt beschäftigt das Unternehmen weltweit über 3.300 Mitarbeiter. Neben dem Hauptsitz in Kassel hat HÜBNER in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten über 25 Standorte rund um den Globus aufgebaut.